M

ochte Baron Ismund auch seine Schwächen haben – sein Wort hielt er. Am Abend desselben Tages war die riesige Kutsche des Barons, von vier Pferden
gezogen, auf dem Weg in die Hauptstadt. Fünf berittene
Gardisten mit finsterer Miene eskortierten sie, auf dem
Bock saß ein Kutscher und auch den Koch hatte der Baron nicht vergessen. Die in zwei Bereiche unterteilte
Kutsche – einen für die Herren, einen für die Diener –
bewegte sich zwar nicht sehr schnell vorwärts, dafür aber
ausgesprochen sanft. Sauerampfer und Trix hatten sich
im Herrenabteil eingerichtet, in dem zwei nicht sehr breite
Sofas und ein Tisch standen. Hinter einer Trennwand
saßen im bescheideneren Bereich der Koch, Ian, Hallenberry und Annette. Durch eine schmale Tür konnte man
während der Fahrt von einem Teil in den anderen gelangen.
Die Kutsche verfügte zudem über einen kleinen Ofen,
der die beiden Teile der Kutsche heizte (und weil das
Abzugsrohr unterm Kutschbock verlief, obendrein auch
den Kutscher wärmte). Selbst nach gründlicher Inspektion
fand Sauerampfer nichts an ihr auszusetzen. »Das ist viel
besser, als zu Fuß zu gehen. Gut, dass du den Baron reingelegt hast …«
»Aber ich habe …«
»Ich weiß schon, deine Arithmetik.« Sauerampfer verzog das Gesicht. »Du hast mich überzeugt. Verstanden,
wie der Hase läuft, habe ich aber immer noch nicht.« »Das ist doch ganz einfach«, sagte Trix. »Ihr braucht
Euch nur vorzustellen, nicht der Baron habe eine Tür geöffnet, sondern ich. Stellt Euch vor, dass ich am Anfang auf die Tür gezeigt habe, die ich unter keinen Umständen öffnen wollte. Und dann habe ich die beiden anderen aufgemacht! Deshalb sind die Chancen zwei zu eins!« »Ah …«, sagte Sauerampfer und schlug sich gegen die Stirn. »Dass ich das nicht gleich …«
Trix, der nun endlich das unangenehme Gefühl loswurde, ein Falschspieler zu sein, lächelte erleichtert. »Großartig«, sagte Sauerampfer. »Da hast du ihn herrlich angeschmiert! Und damit hast du, mein Schüler, auch den nächsten großen Schritt auf dem Weg zum Zauberer gemacht.«
»Welchen?«, fragte Trix erstaunt.
»Als du dein Interesse an der Magie bekundet hast und auch die entsprechenden Anlagen gezeigt hast, habe ich dich zu meinem Fanaticus gemacht. Als du ganz allein eine schwierige Aufgabe gemeistert und deine Zauberei ganz vortrefflich eingesetzt hast, bist du zum Soufflöticus aufgestiegen. Und nun, da du begriffen hast, dass Magie nicht immer weiterhilft, sondern dass ein Zauberer manchmal auch allein mit seinem Verstand siegen muss, erreichst du die dritte und höchste Stufe deiner Ausbildung. Von heute an bist du Initiaticus!«
Fassungslos angesichts der schnellen Karriere sprang Trix in die Luft – und hätte sich beinah den Kopf an der flachen Decke der Kutsche gestoßen.
»Dein Eipott wird weiter wachsen, dein Stab fast so sein wie der eines Zauberers. Außerdem erhältst du das Recht, andere noch vor mir anzusprechen und deinen Anteil an der Entlohnung zu verlangen, die wir für unsere Dienste erhalten. Der ist natürlich noch nicht sehr hoch, versteht sich.« Sauerampfer hüstelte. »Schließlich denke ich weiterhin für uns beide.«
»Herr Lehrer … wie wird ein Initiaticus denn ein richtiger Zauberer?«, fragte Trix.
»Das sage ich dir, wenn du ein richtiger Zauberer bist.« Sauerampfer dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Falls du es je wirst.«
Trix setzte sich wieder und strich über sein Eipott. »Eigentlich ist das doch schon das zweite Mal, dass ich eine Aufgabe löse, ohne Magie einzusetzen!«, bemerkte er nachdenklich. »Das erste Mal war mit dem Müller und seinen drei Söhnen.«
»Ist mir klar«, erwiderte Sauerampfer. »Aber damals warst du kein Soufflöticus. Und dass ein Fanaticus eine Stufe überspringt und sofort Initiaticus wird, das ginge nun wirklich zu weit. Und überhaupt«, sagte er, während er sich auf dem Sofa ausstreckte, »schadet es nie, sich davon zu überzeugen, dass ein Schüler wirklich etwas gelernt hat. Ein Mal – das könnte ja Zufall gewesen sein!« Er gähnte und schlief ein.
Trix saß auf seinem Sofa und dachte nach. Sauerampfer fing schon bald an zu schnarchen. Ungeachtet des Geschüttels, gegen das nicht einmal eine gute Federung etwas auszurichten vermochte, schien er fest entschlossen, bis zum Morgen durchzuschlafen. Trix dagegen wollte überhaupt noch nicht schlafen. Hinter der dünnen Trennwand waren die ausgelassenen Stimmen von Ian und dem Koch zu hören. Der Koch war ein junger Mann, der sich über die Fahrt in die Hauptstadt, obendrein in solch außergewöhnlicher Gemeinschaft, offenkundig freute. Geschirr klapperte und schon bald erfüllte der leckere Geruch von über Kohlen gebratenem Huhn den Raum. Der Kutscher stimmte ein trauriges Lied über die Straße, den Staub, den Nebel, die Kälte, die Sorgen, das Steppenunkraut, kreisende Raben, von Räubern erschlagene Kollegen und über die Mutter, die ihren Sohn zu Hause erwartete, an. Das Lied war derart schwermütig, dass Trix am liebsten losgeweint hätte.
Wenn er jetzt die Tür öffnen, den Zauberer allein schnarchen lassen und sich zu den Dienern gesellen würde, mit ihnen eine Hühnerkeule essen, sich mit Ian unterhalten würde … Aber war ein solches Verhalten eines Initiaticus würdig – der noch dazu kurz davor stand, ein Zauberer, ein großer und wichtiger Mann zu werden? Die Tür knarrte und Hallenberry steckte seinen Kopf durch. »Klaro, du schläfst nicht«, stellte er fest. »Kommst du rüber und isst mit uns Hühnchen? Ist echt lecker!« Der Form halber dachte Trix zwei Sekunden darüber nach. Na gut, eine. Dann sprang er auf, blies die Flamme in der Laterne aus, damit Sauerampfer wirklich durchschlief, und begab sich ins Dienstbotenabteil.
»Unsere Verehrung dem Herrn Zauberlehrling!«, begrüßte ihn der Koch und reichte ihm ein gebratenes, fetttriefendes Hühnerbein. So jung, wie er war, musste er vor Kurzem noch Vorschäler gewesen sein. (Oder wie hieß das bei denen? Ein Kochlehrling hatte doch bestimmt auch verschiedene Stufen zu erklimmen.)
Trix griff nach der Keule und nagte an ihr. »Lecker«, nuschelte er. »Ich bin Trix.«
»Und ich Domac. Hier ist Wein aus den Kellern des Barons für den Herrn Trix!« Der Koch reichte ihm einen Kelch. »Der Baron selbst trinkt nicht, aber sein Wein ist gut. Angeblich soll man zu Geflügel ja Weißwein reichen. Aber das ist Quatsch! Zu Geflügel, das auf Kohlen gebraten wurde, gibt es nichts Besseres als Rotwein!«
Trix trank mit Genuss von dem Wein. Ian saß ebenfalls mit einem Pokal Wein und einem Stück Huhn da, nur Hallenberry war noch zu jung für Wein.
»Wie kommt ihr hier zurecht?«, erkundigte sich Trix, der ganz als besorgter Herr auftreten wollte (doch das Fett, das ihm über die Hand rann, und das leckere Fleisch in seinem Mund vermasselten seinen Auftritt). »Ist es nicht zu eng?«
Hallenberry, dem der Mund ja selten stillstand, ergriff nur zu gern die Gelegenheit und zeigte Trix, wie ihr Raum eingerichtet war: drei schmale Betten übereinander, mit robusten Riemen, damit man nicht herausfiel, wenn die Kutsche holperte; ein Schrank mit Vorräten; ein kleiner Ofen. Inzwischen machte sich der Koch schon daran, die nächste Portion Huhn zuzubereiten. Der Rauch zog durch ein kleines Fenster über dem Ofen ab. Irgendwann wurde Hallenberry müde, sodass Domac an das bisherige Gespräch anknüpfen konnte. »Eigentlich wollte ich nie Koch werden. Ich war in der Gilde der Radmacher. Mein Vater baut Kutschräder, für diese hat er sie übrigens auch gemacht. Und Räder für Uhren. Für den Turm des Fürstenpalasts in Dillon hat er zum Beispiel die Zahnräder angefertigt. Und für Schlösser stellt er ganz kleine Rädchen her. Alles, was rund ist und sich dreht, das ist unsere Profession. Früher hat unsere Gilde übrigens auch die Knöpfe gemacht! Aber dann haben uns die Schneider das Patent abgekauft, nachdem sie vor dem fürstlichen Gericht bewiesen haben, dass Knöpfe zwar rund sind, sich aber nicht drehen, sondern nur baumeln. Seitdem stellen sie die Knöpfe her. Die Dinger solltet ihr mal sehen! Quadratische, dreieckige und längliche Stücke! Das sind doch keine Knöpfe, das ist Schrott!«
»Wie interessant!«, sagte Trix begeistert. Im CoHerzogtum gab es natürlich auch eine Gilde von Radmachern, aber er hatte sich nie eingehender mit den Feinheiten ihrer Arbeit befasst.
»Hochinteressant«, bestätigte der Koch. »Und im Übrigen sehr philosophisch. Schließlich ist das Rad ein Kreis, und der Kreis ist das Symbol der Ewigkeit, und die Ewigkeit ist das Universum. Wenn du also ein Rad machst, arbeitest du für die Ewigkeit!«
Er gestikulierte so schwungvoll, dass ein Hühnerbein in den Kohlen landete. Rasch angelte er es wieder heraus. »Das hätte ich nie gedacht«, gab Trix zu. »Und warum bist du dann Koch geworden?«
»Sie haben mich rausgeschmissen«, gestand Domac. »Wegen meiner Projekte. Die würden die Gilde in Verruf bringen.«
»Und was waren das für Projekte? Ein quadratisches Rad?«, scherzte Trix.
»Quatsch!«, empörte sich Domac. »Ich esse gern, vor allem auf Kohlen gebratenes Huhn.«
Trix sah den hoch aufgeschossenen, dürren Mann zweifelnd an, sagte aber kein Wort.
»Worauf kommt es bei Huhn auf Kohlen denn an?«, fragte Domac. »Natürlich darauf, dass es von allen Seiten gleichmäßig braun wird und nicht verkohlt. Da habe ich mir was ausgedacht, zwei Räder, die auf einer Achse sitzen. Die Räder haben Spieße, auf die steckst du die Hühner. Dann setzt du das Ding auf ein Gestell und stellst es auf den Ofen, drehst den Hebel an der Achse – und schon ist das Fleisch fertig. Schnell und gleichmäßig!« »Und das hat nicht funktioniert?«, fragte Trix. »Doch, bestens«, erwiderte Domac. »Aber die Leute aus der Gilde waren sauer und haben gesagt, dass es eine unwürdige Anwendung der großen Idee des Rads ist. Daraufhin haben sie mich zur Kochgilde geschickt. Die haben sich am Anfang auch gefreut. Aber dann haben sie Angst gekriegt. Mit dem Ding kann schließlich jeder Dummkopf schnell und lecker ein Huhn zubereiten. Das würde etliche Köche an den Bettelstab bringen! Deshalb … haben sie mir befohlen, es auf die alte Art zu machen.«
Er hielt Trix ein weiteres Stück Huhn hin, leicht angebrannt, aber lecker.
»Und recht hatten sie, junger Mann«, sagte Sauerampfer, der in der Tür erschienen war. »Absolut recht.« Der Zauberer besah sich aufmerksam die Szenerie, raffte seinen Umhang hoch und wechselte in den Dienstbotenbereich über. Er setzte sich auf den Hocker, den Hallenberry rasch freigegeben hatte, und fuhr fort: »Ich will die Jugend ja nicht von ihrem Vergnügen abhalten, aber es hat einfach zu verlockend gerochen …«
Domac servierte ihm eilig Huhn und Wein.
»Danke«, sagte Sauerampfer. »Was ist denn an Huhn auszusetzen, das nicht auf so einem raffinierten Räderwerk zubereitet wird?«
»Gar nichts«, antwortete Domac. »Aber man könnte es halt in kurzer Zeit in großer Zahl zubereiten!«
»Typisch Jugend«, entgegnete Sauerampfer. »Alles muss immer ruck, zuck gehen! Aber mach dir doch mal klar, was dann geschehen würde! Überall in der Stadt würden Händler stehen, jeder mit einem kleinen Ofen und deinem Wunderrad, um Huhn auf Kohlen zu verkaufen!«
»Was wäre daran schlecht?«, fragte Domac verwundert. »Wenn die Menschen schnell zu ihrem Essen kämen?« »Weil ein Essen seine Zeit braucht«, sagte Sauerampfer, während er an seinem Hühnerbein nagte. »Es lädt förmlich dazu ein, sich an einen Tisch zu setzen, sich zu unterhalten, zu genießen und Wein und Bier zu trinken. Nach einem langen und schmackhaften Essen mit all seinen interessanten Gesprächen erhebt sich der Mensch klüger und friedvoller. Aber wenn sich dein Wunderrad durchsetzt? Du führst die ganze Zeit das Wort schnell im Munde. Das ist ein gefährliches Wort! Hast du vielleicht noch mehr solcher Erfindungen in petto?«
»Ein paar Kleinigkeiten«, gab Domac zu. »Zum Beispiel den Wellenofen.«
»Was ist das?«
»Das ist ein Eisenkasten mit einer kleinen Tür, in den mit einem Blasebalg heiße Luft aus dem Ofen gepumpt wird. Die breitet sich in Wellen in dem Kasten aus und wärmt das Essen in null Komma nichts auf. Wenn du Zeit hast, bereitest du etwas vor, ein Brötchen zum Beispiel, das du aufschneidest, und dann ein Hackkotelett und eine Scheibe Käse hineinlegst. Wenn du Hunger hast, kommt das Ganze einfach für eine Minute in den Wellenofen und wird aufgewärmt!«
»Pfui Teufel!«, schrie Sauerampfer. »Sicher, man muss das Brötchen und das Hackkotelett aufwärmen – wer würde so was schon kalt essen?! Aber schmecken kann das nicht! Außerdem ist es schlecht für den Magen.«
»Stimmt, es ist nicht gerade lecker«, räumte Domac ein. »Aber mit viel Senf oder Tomatensoße ist es gar nicht mehr so schlecht.«
»Was hast du dir noch ausgedacht?«, setzte Sauerampfer das Verhör fort.
»Ein Glas … aus dem man im Gehen trinken kann. Es hat einen Deckel, da steckt man einen Strohhalm rein. Man geht, trinkt und plempert nicht.«
»Das mag auf Reisen ganz nützlich sein«, sagte Sauerampfer schon friedlicher, wobei er verspritzten Wein vom Ärmel seines Umhangs wischte. Der Reiseumhang war zum Glück so fettig, dass der Wein keine Chance hatte, in den Stoff zu dringen, sondern in Tropfen auf ihm liegen blieb. »Oder für Symposien. Du läufst durch den Raum, trinkst Wein durch den Strohhalm … Hmm. Interessant. Was noch?«
»Die Schnelle Kartoffel.«
»Was ist das?«
»Dafür werden Kartoffeln in dünne Streifen geschnitten und in kochendes Fett geworfen. Eine Minute später kann man sie schon essen!«
»Der reinste Albtraum!«, stöhnte Sauerampfer. »Weißt du, was mit einem Land passiert, das sich so ernährt? Die Menschen werden anfangen, im Gehen zu essen, und sich den Magen ruinieren. Schon bald kriegen sie Verdauungsprobleme, werden fett und behäbig, ihr Charakter verdirbt, die Zähne kannst du nach einer Weile vergessen, die Moral sinkt. Wenn man erst mal im Gehen isst, will man auch alles andere schnell erledigen. Du bekämst eine Gesellschaft, in der sich die Menschen nicht mehr die Zeit zum Nachdenken nähmen. Stattdessen würden schnelle und unkluge Entscheidungen als Heldentaten gelten. Junger Mann! Hör auf den Rat eines alten Zauberers! Vergiss diese gefährlichen Ideen! Deine Lehrmeister hatten völlig recht, sie dir zu verbieten.«
»Trotzdem werden es früher oder später alle so machen«, behauptete Domac. »Das ist der Fortschritt und den kann man nicht aufhalten.«
»Besser später!«, polterte Sauerampfer. »Besser nicht mehr zu unseren Lebzeiten!«
»Außerdem würde ich gern eine Garküche aufmachen. Wenn ich etwas Geld zusammenhab«, sagte Domac. »Sie soll Schnelles Essen heißen! Wenn sie gut läuft, eine zweite. Später noch eine. Da würde es die Schnelle Kartoffel geben, das Brötchen mit Hackkotelett und süßen Saft im Glas. Wenn man viel Honig dazutut, sind Kinder verrückt danach!«
»Klaro, mir schmeckt süßer Saft!«, verkündete Hallenberry. Annette, die es sich auf seiner Schulter bequem gemacht hatte, kicherte leise, was ihr einen finsteren Blick des Zauberers eintrug.
»Das Emblem deiner Garküchen müsste ein Hintern sein!«, giftete Sauerampfer. »Mit einem solchen Essen ruinierst du dir unweigerlich die Verdauung!«
»Ein Hintern!«, rief Hallenberry. »Klaro! Gefällt mir auch!«
»Die Kinder würden Geschenke kriegen«, fuhr Domac fort. »Ich dachte an Puppen. Die Zehn großen Magier, zum Beispiel.«
»Und wozu das?«, fragte Sauerampfer.
»Die Kinder würden natürlich alle zehn Figuren haben wollen. Deshalb würde ich dafür sorgen, dass es in einer Garküche viele Figuren von neun Magiern gibt, die zehnte aber selten ist. Hinter der wären dann alle her. In einer anderen Garküche würde es von dieser zehnten Figur mehr als genug geben, da würde eine andere fehlen. So würden die Kinder immer und immer wieder ins Schnelle Essen kommen. Und auch die Erwachsenen mitbringen.« »Ja!«, sagte Hallenberry begeistert. »Ja, genau!« »Du bist ein Monster!«, rief Sauerampfer. »Das … das ist unerhört!«
»Wieso ein Monster?«, fragte Domac beleidigt. »Hallenberry würde ich alle zehn Figuren schenken. Und für Waisenhäuser würde ich spenden. Ich bin ein guter Mann!«
Sauerampfer verengte die Augen zu Schlitzen. In dem Moment war Trix überzeugt davon, dass der erfindungsreiche Domac die Hauptstadt nicht erreichen würde. Oder er würde sie erreichen – aber in Gestalt irgendeines nützlichen Gegenstands oder im Körper eines possierlichen Tiers.
Annette musste den gleichen Gedanken gehabt haben, denn sie schlug entsetzt die Hände vor die Augen. »Und die Zauberer, die Vorbild für die Figuren stehen«, fuhr Domac fort, der von alldem nichts ahnte, »würde ich am Gewinn beteiligen. Ihr Anteil wäre natürlich nicht sehr hoch, aber da ich einen enormen Umsatz mache …«
»Was würdest du dir denn die Zustimmung eines Zauberers kosten lassen?«, fragte Sauerampfer.
»Ich denke, jede Garküche könnte hundert zahlen.« »Hundert was?«
»Goldtaler natürlich«, erwiderte Domac beleidigt. »Die zehn Magier würden hundert Goldtaler bekommen?«, fragte Sauerampfer.
»Ja. Natürlich nicht zusammen. Sondern jeder von ihnen. Aber fünf Magier dürften ruhig schon tot sein, denen müsste ich nichts zahlen. Die übrigen fünf kriegen jeder hundert.« Domac goss dem Zauberer, der zur Salzsäule erstarrt war, Wein nach. »Übrigens solltet Ihr, Herr Sauerampfer, unbedingt einer dieser fünf sein. Vielleicht könntet Ihr mir sogar die anderen Kandidaten nennen? In dem Fall würde ich Euren Anteil aufgrund Eurer Beratertätigkeit natürlich erhöhen.«
»Das klingt …« Sauerampfer hüstelte. »Das klingt interessant. Aber ich bin kategorisch gegen das Haupt der Akademie der Zauberer, Herrn Homr. Der wird völlig überschätzt.«
»Dann scheidet er aus«, entschied Domac.
Daraufhin brach Sauerampfer in lautes Gelächter aus, beugte sich vor und schlug Domac auf die Schulter. »In dieser Idee steckt das Korn für eine reiche Ernte!« »Also, bei Korn bin ich noch nicht dahintergekommen, wie es schnell zuzubereiten ist«, sagte Domac. »Ich rede schon nicht mehr vom Korn, ich rede bereits vom Schnellen Brötchen!«
»Schnelle Kartoffel.«
»Von mir aus auch Schnelle Kartoffel. Und die Figuren! Ohne die geht es gar nicht! Mach sie aus Ton. Wenn du ein paar arme Teufel aus Samarschan anheuerst, malen sie dir die Dinger auch noch an.«
»Könnte eine Figur nicht auch aus einzelnen Teilen bestehen«, mischte sich da Hallenberry ein. »Zum Beispiel der Zauberer für sich und der Stab extra. Das Kind steckt dann den Stab selbst in … in die eine Hand oder die andere … oder setzt ihm den Hut auf.«
»Genial!«, sagte Sauerampfer. »Das gehört belohnt!« Er steckte Hallenberry eine kleine Münze zu, worauf dieser vor Stolz bis über beide Ohren strahlte.
»Außerdem könnte der Magier gleichzeitig eine Pfeife sein«, fuhr Hallenberry fort. »Auf der man ein Lied spielt.«
Der Zauberer und der Koch wechselten einen beredten Blick.
»Das ist … recht verwegen«, sagte Domac.
»Das entscheiden wir später«, sagte Sauerampfer. Trix, der dem interessanten Gespräch zwar voller Neugierde lauschte, merkte, dass er langsam einschlief. Er ging wieder hinüber, legte sich auf die Liege und schnallte sich mit dem Riemen an. Die Kutsche fuhr munter über den Steppenweg. Der Kutscher sang wieder etwas über den Weg und darüber, wie er die Pferde ausspannt und tränkt. Trix fing noch vereinzelte Gesprächsfetzen auf: »Wer es sehr eilig hat, dem packe ich das Essen in ein Körbchen!« – »Du kannst das Brötchen mit einem Hackkotelett machen, aber auch mit einem Stück Fisch.« – »Und Küchlein! Unbedingt Küchlein!« Dann schloss er die Augen und schlief friedlich ein.

Die Reise in die Hauptstadt verlief dank der Großzügigkeit des Barons schnell und angenehm. Die Kutsche mit der zuverlässigen Garde Ismunds durchquerte das Baronat, wobei sie am Besitztum des Erbprinzen vorbeikamen (da es im Moment keinen Erbprinzen gab, wurden die Ländereien von königlichen Vogten verwaltet und boten keinen allzu erfreulichen Anblick). Sauerampfer verfasste neue Zaubersprüche (in diesen Stunden schickte er Trix zu den Dienern, da ihn echte Inspiration ja nur in Einsamkeit ereilte) und erörterte mit Domac die Zukunft ihrer Schnelles Essen-Garküchen; längst war er vom Berater für Zaubererfiguren zum gleichberechtigten Geschäftspartner aufgestiegen.

Nach fünf Tagen erreichten sie an einem regnerischen, kalten Abend, als jeder einzelne Regentropfen sich schon fragte, ob er sich nicht besser in Schnee verwandeln solle, das Süd-West-Tor der Hauptstadt (im Volksmund hieß es Staubiges Tor, denn im Sommer machte der Süd-WestWind die Stadtmauern häufig mit den Ausläufern der Wüstenstürme bekannt, jener letzten Rache Samarschans für die Wegnahme einiger Gebiete).

Vor dem Haupttor hatte sich eine lange Schlange von Karren und Kutschen gebildet. Fußgänger gelangten durch ein Seitentor, wo sie kurz, aber eindringlich von der königlichen Wache befragt wurden, in die Stadt. Die Kutschen musterten die Posten dagegen aufmerksam, auch die Fracht auf den Karren inspizierten sie, sodass die Schlange nur langsam schmolz.

»Suchen sie Räuber?«, fragte Trix mit einem Blick auf die Wache.
»Soweit ich weiß, ist die Kontrolle aller Besucher eine übliche Praxis in der Hauptstadt«, antwortete Sauerampfer. Der Zauberer trug seinen Paradeumhang, kämmte sich den Bart, polierte mit einem wildledernen Tuch die Spitze seines Stabs – kurz und gut, er putzte sich heraus, als wolle er sofort bei König Marcel vorsprechen. Obendrein kaute er Zimtstückchen, verzog das Gesicht und spuckte sie zum Fenster hinaus. Das Gewürz sollte den Geruch von ihrem Mittagessen, Schweinefleisch mit Knoblauch sowie dunkles Bier, vertreiben. Man hätte meinen können, er wolle nicht nur unverzüglich zum König, sondern diesen auch nach Samarschaner Brauch zur Begrüßung küssen.
Ohne ein Wort zu sagen, brachte auch Trix sich in Ordnung: Er schnäuzte sich, pulte mit dem Fingernagel einen Eigelbfleck vom Ärmel, nahm sich eine Zimtstange und fing ebenfalls an zu kauen, obwohl es nicht schmeckte.
Schließlich war die Reihe an ihnen. Der Offizier der Wache, ein kräftiger Mann mit Schnauzbart und Narbe im Gesicht, in einer schweren Stahlrüstung und mit einem Schwert am Gürtel, näherte sich der Kutsche und betrachtete interessiert das Wappen. »Die Kutsche des Barons Ismund«, sagte er laut. »So, so. Wer kommt in die Hauptstadt?«
»Der große Zauberer Radion Sauerampfer mit seinem Schüler«, antwortete Sauerampfer hochnäsig zum Fenster hinaus. »In einer dringenden Angelegenheit.«
Der Name des Zauberers machte in der Tat Eindruck – wenn auch einen völlig anderen als erwartet. Der Offizier hob den Arm und sofort eilte ein Dutzend Wachposten herbei. Ohne weiter auf die anderen Besucher zu achten, umzingelten sie die Kutsche und drängten die fünf Gardisten Ismunds ab.
»Radion Sauerampfer, befindet sich in Eurer Begleitung Euer Schüler Trix Solier?«, fragte der Offizier.
Aus irgendeinem Grund freute sich Trix überhaupt nicht, dass der Offizier seinen Namen kannte.
»Ja«, antwortete Sauerampfer, nun ohne jede Herablassung. »Was soll das denn bedeut …«
»Im Namen des Königs Marcel!«, brüllte der Offizier. »Ihr, der Zauberer Radion Sauerampfer, und Ihr, der Zauberlehrling Trix Solier, seid auf Befehl des Königs verhaftet! Ihr habt zu schweigen, ohne Aufforderung dürft Ihr kein Wort sagen! Eure magischen Bücher dürft Ihr nicht anfassen! Rührt Euch nicht von der Stelle!«
Mehrere Soldaten richteten ihre Hellebarden auf die Kutsche. Der Kutscher auf dem Bock fluchte genüsslich, denn für sich sah er keine Gefahr – dafür aber umso mehr Gesprächsstoff! Ismunds Gardisten schienen völlig verunsichert, von ihnen war keine Hilfe zu erwarten.
»Die Einheit für Sondereinsätze soll herkommen!«, befahl der Offizier. »Rasch!«
Im Inneren der Kutsche fasste Trix sich panisch an die Brust und tastete nach dem Beutel mit dem Buch. Annette witterte Gefahr und schlüpfte in seine Tasche. Hallenberry steckte den Finger in den Mund.
Und Ian …
Ian saß kurz mit offenem Mund da, dann packte er Trix beim Ärmel. »Zieh den Umhang aus!«, flüsterte er. »Schnell!«
»Was hast du vor?«, fragte Trix.
»Du Blödmann! Die kerkern dich ein!«
Daraufhin zog Trix wortlos den Umhang aus und Ians Jacke an.
»Den Stock und das Buch!«
»Du kannst den Stock haben«, sagte Trix. »Mehr nicht!«
Sauerampfer hörte anscheinend das Gepolter und Geflüster in seinem Rücken, blieb jedoch reglos wie ein steinernes Standbild sitzen.
Trix versteckte das Eipott unter der Jacke, knöpfte sie zu und schielte zu Domac hinüber, der durch die offene Tür das hektische Umkleiden beobachtete. »Ich bin Ian, der Diener!«, erklärte Trix. »Kapiert?«
»Ich kenne Euch doch überhaupt nicht!«, entgegnete Domac und schloss die Tür. »Und das Ganze geht mich auch gar nichts an!«
Während der Offizier auf die Sondereinheit wartete, wurde er sichtlich nervös. Dann waren jedoch ein Stampfen und das Platschen von Pfützen zu hören. Fünf weitere Soldaten trafen ein, die sich glichen wie ein Ei dem anderen: die dummen Gesichter von Bauern aus der tiefsten Provinz, wo man sogar die eigene Schwester heiratete, mit seltsamen Helmen, die bis über die Ohren reichten. So, wie sie lärmten, schienen sie nicht das Geringste zu hören. Und so, wie sie guckten, auch nicht das Geringste zu verstehen.
Der Offizier zeigte auf die Kutsche und befahl: »Sauerampfer und Solier! Steigt unverzüglich aus! Nehmt die Stöcke hoch! Stampft nicht mit ihnen auf den Boden! Sagt kein Wort!«
Der Zauberer öffnete den Schlag und stieg widerwillig in den Regen hinaus. Ihm folgte Ian, der noch einmal einen ängstlichen, aber auch stolzen Blick auf Trix warf.
»Sauerampfer?« Der Offizier wies mit dem Finger auf den Zauberer.
Sauerampfer nickte.
»Knebelt ihm den Mund!«, befahl der Offizier. »Und fesselt ihm die Hände! Solier?«
Ian nickte.
»Fesselt auch ihm Mund und Hände!«
»Wieso muss der Junge gefesselt werden?«, fragte der Kutscher da plötzlich. »Das ist doch nicht schön …«
»Das ist kein Junge, sondern ein gefährlicher Staatsfeind!« Das Gesicht des Offiziers lief puterrot an. »Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!«
Nachdem der Kutscher diese überraschende Kühnheit an den Tag gelegt hatte, zog er es nun vor, sich nicht weiter ins Geschehen einzumischen.
»Wer ist da noch drin?« Der Offizier spähte in die Kutsche.
»Die Diener«, jammerte Hallenberry. »Klaro. Ich bin ein Küchenjunge und das ist Ian, er hält den Herren Zauberern die Kleidung sauber und bedient bei Tisch …«
»Rechte Herrenallüren haben diese Provinzsprücheklopfer!«, schnaubte der Offizier. »Für euch habe ich keinen Befehl …« Er zögerte, entschied dann aber, er habe für heute sein Soll an verhafteten Kindern erfüllt. »Macht, dass ihr wegkommt, solange ihr noch könnt. Und sucht euch in Zukunft bessere Herren!«
Trix schnappte sich mit einer Hand den kleinen Beutel mit seinen Siebensachen, mit der anderen Hallenberry. Die beiden Jungen sprangen aus der Kutsche. Im hellen Licht der Laternen sahen sie, wie Sauerampfer, der mit stolz durchgedrücktem Rücken und in den Nacken gelegtem Kopf dastand, ein fester Knebel vor den Mund gebunden wurde. Ian wartete widerstandslos, bis die Reihe an ihm war.
»Dürfen wir in die Stadt gehen?«, fragte Trix. »Schließlich müssen wir uns neue Herren suchen …«
»Geht nur, ihr Nichtsnutze«, sagte der Offizier. Er sah Trix etwas skeptisch an, aber genau da nieste Ian so laut, dass er alle Aufmerksamkeit auf sich zog. »Still!«, herrschte er ihn an. »Kein Sterbenswörtchen!«
Ian nieste noch einmal.
»Gesundheit!«, sagte der Offizier diesmal völlig automatisch.
»Danke«, antwortete Ian.
»Du sollst kein Wort sagen!«, schrie der Offizier nun wieder. Offenbar hatte er schon einmal mit angesehen, wie auf ein einziges Wort eines Magiers hin alle Feinde tot umfielen und die Stadtmauern niederbrannten. »Der Mund! Knebelt ihn gefälligst!«
Trix, der Hallenberrys Hand fest drückte, eilte zum Tor. Niemand hielt sie auf.

Die fünf Goldstücke Ismunds, die Sauerampfer Trix großzügig überlassen hatte, wollte er lieber sparen. Deshalb machten er und Hallenberry in einer dunklen, stinkenden Gasse gleich rechts hinterm Stadttor halt. (Man sollte nie in der Dunkelheit durch das Süd-West-Tor in die Hauptstadt kommen, die Gefahr, sonst wo reinzutreten, ist einfach zu groß.) Zu dieser späten Stunde war das Geschäft eines Gerbers, vor dem sie standen, natürlich längst geschlossen. Aber Trix hatte es ohnehin auf das über die Jahre grün angelaufene Kupferdach abgesehen.

»Für den Reichen bedeutet ein Kupferling nicht mehr als ein Sandkorn für die See«, sagte Trix und streckte die Hand aus. »Aber für den Armen ist er ein Vermögen. Er sichert ihm Nahrung und einen warmen Schlafplatz. Was bedeutet es dann aber, wenn nicht eine Münze, sondern eine ganze Handvoll magisch geschaffener Münzen, die von den echten nicht zu unterscheiden sind, in deine Hand fällt? Das bedeutet, dass du ein reicher Mann bist!«

Kurz darauf klimperten Münzen in Trix’ Hand, während das Kupferdach nun leicht durchhing. Einige Münzen landeten im Straßendreck. Hallenberry machte sich sofort auf die Suche nach ihnen.

»Wühl nicht im Dreck!«, hielt Trix ihn zurück. »Notfalls zaubere ich noch mehr.«
»Du solltest aber doch vorsichtiger mit deiner Zauberei sein«, sagte Annette, die aus der Tasche auftauchte. »Wenn ein Zauberer Kupferlinge zaubert, ist das kein geringeres Verbrechen als Hochverrat!«
»Ich werde es nicht mehr machen«, versprach Trix wenig überzeugend. »Komm, Klaro!«
Fünf Minuten später (Trix achtete darauf, weder die belebtesten noch die dunkelsten Gassen zu nehmen) kamen sie zur ersten Schenke. Die wirkte jedoch völlig heruntergekommen, aus dem Innern drangen Schreie und Geräusche einer Prügelei, vor dem Eingang drückten sich finstere Gestalten herum. Trix packte Hallenberrys Hand fester und ging weiter, von missgünstigen Blicken verfolgt.
Die nächste Schenke lag in einer breiteren und freundlicheren Straße. Hier versteckten sich die Menschen nicht im Schatten. Alles sah recht ungefährlich aus – wenn da nicht die grell bemalten Frauen gewesen wären, die ganze Herden bildeten und sich mit kreischenden Stimmen unterhielten. Sie grapschten sofort nach Trix und flüsterten ihm mit heißem Atem etwas ins Ohr. Annette in seiner Tasche wurde unruhig – und Trix begriff, dass er den Ort besser verließ, bevor die Fee die Geduld verlor.
Ihr Weg brachte sie endlich in eine breite Straße, die steingepflastert und fast ohne Pfützen war. Überall brannten Laternen, flanierten ordentlich gekleidete Menschen. Die Schenke, auf die Trix’ Blick fiel, schien sogar fast zu gut: Vor dem Eingang wartete eine alte, aber saubere Kutsche auf jemanden, ein buntes Schild verkündete Zu den drei lustigen Raben. Da es mit einer goldenen Krone verziert war, mussten hier schon Menschen edlen Bluts übernachtet haben. Da Trix jedoch keine Kraft mehr hatte, weiter durch den Regen zu ziehen, strich er sich die Haare glatt, setzte eine ernste Miene auf und betrat die Schenke.
Die Unterkunft rechtfertigte den ersten Eindruck vollauf. Es gab karierte Tischdecken, etliche Besucher aßen mit Gabeln, und alle ließen sich nur zu gepflegten Flüchen hinreißen, noch dazu in gedämpftem Ton.
»Was wünscht …« An Trix trat ein Kellner heran. Das war eine seltene Tätigkeit für einen Mann, aber angeblich kam es in der Hauptstadt öfter vor. Er sah Trix aufmerksam an. Von seinen Lippen verschwand erst das Wort »Knabe«, dann der »Junge« und schließlich auch der »Jüngling«, um einem kühnen »der junge Herr?« Platz zu machen.
»Ein Zimmer«, sagte Trix. »Für meinen Bruder und mich.« Er zog Hallenberry an sich, der sich verängstigt hinter ihm versteckte. »Wir sind mit unserem Vater in die Hauptstadt gekommen. Er ist ein Fischhändler aus dem Baronat Galans. Aber er ist gleich weggegangen …« An dieser Stelle erlaubte Trix es sich, kurz zu zögern und einen Hauch von Verachtung in seine Stimme zu legen. »… geschäftlich. Mein Bruder und ich sollen uns hier ein Zimmer nehmen.«
»Verstehe«, sagte der Kellner. »Ja, ja, die Hauptstadt bietet … allerlei Geschäftsmöglichkeiten. Für einen ehrenwerten Händler. Geht zu Loya!«
Loya war eine in die Jahre gekommene Frau, die hinter dem Tresen Bier ausschenkte. Trix wiederholte seine Geschichte, die beim zweiten Mal schon flüssiger klang, und in die Augen der Frau schlich sich sogar ein Hauch von Mitleid: »Hast du denn Geld, Händlerssohn? Wir sind ein gutes Haus.«
»Ja«, sagte Trix. »Wie viel kostet ein Zimmer?«
»Zehn Kupferlinge pro Tag, im Voraus.«
Trix holte die schweren Kupferlinge aus seiner Tasche und zählte zehn Münzen ab. »Ich zahle drei Tage im Voraus. Geht das?«
»Braucht dein Vater so lange Zeit für seine Geschäfte?«, fragte die Frau amüsiert.
»Drei Tage mindestens«, erwiderte Trix in vertraulichem Flüsterton.
»Für das Geld kriegt ihr auch was zu essen«, entschied Loya großherzig. »Frühstück und Abendbrot und mittags Tee mit Küchlein.«
Die Münzen wanderten vom Tresen in Loyas Hände und von dort zu einem finsteren Mann, der die Frau hinterm Tresen ablöste. Loya führte Trix und Hallenberry eine knarzende Treppe hinauf in den zweiten Stock. Bei den vielen Türen, die es in dem langen Gang gab, konnte an der Größe der Zimmer in den Drei lustigen Raben kein Zweifel aufkommen. Immerhin war es hier hell (es brannten zwei Kerzen), sauber und sogar ruhig, nur hinter einer Tür erklang ein gewaltiges Schnarchen.
»Der Ritter Agramor, er schläft sich vor dem Turnier aus«, erklärte Loya. »Zu uns kommen die unterschiedlichsten Gäste, manchmal sogar Barone. Ach ja, Jungs, mein Vater hat das auch immer gemocht, in die Hauptstadt zu kommen und dann drei Tage zu verschwinden, um seinen Geschäften nachzugehen … danach hat er von meiner Mutter immer eins mit der Bratpfanne übergezogen bekommen … Hier ist euer Zimmer.« Sie gab Trix den Schlüssel und warnte ihn gleich: »Wenn du den verlierst, musst du das Schloss auswechseln. Das kostet zehn Kupferlinge. Also pass auf ihn auf!«
»Das werde ich«, versprach Trix.
»Wenn ihr Hunger habt, kommt runter, dann mache ich euch was«, sagte sie. Dann drückte sie Trix die Kerze in die Hand, zerzauste Hallenberry mit mütterlicher Sorge das Haar (der machte sofort ein niedliches Gesicht) und verschwand.
Trix öffnete die Tür, er und Hallenberry huschten ins Zimmer und schlossen hinter sich ab, erst mit dem Schlüssel, dann legten sie auch noch die Riegel vor, als wollten sie sich vor der Hauptstadt verbergen, die sie so unfreundlich empfangen hatte. Da schlug Hallenberry plötzlich die Hände vors Gesicht und fing an zu heulen.
»Was ist denn?«, fragte Trix.
»Der Zauberer tut mir so leid! Sauerampfer!«
»Mir auch«, sagte Trix, während er sich im Zimmer umsah. Es war klein, hatte aber ein Fenster, das zur Straße hinausging, zwei Betten, saubere Nachttöpfe und einen kleinen Tisch, auf dem eine Tonvase mit kleinen gelben Blumen stand. Annette kroch aus Trix’ Tasche, sah Hallenberry voller Mitgefühl an, schnupperte und flatterte auf die Blumen. »Wenigstens Abendessen«, murmelte sie, als sie den Blütenstaub schlürfte.
»Man wird sie töten«, sagte Hallenberry. »Erst hängen, dann köpfen und in kochendes Öl schmeißen!«
»Warum so kompliziert?«, fragte Trix erstaunt.
Während Hallenberry nachdachte, hörte er sogar auf zu weinen. »Zur Abschreckung«, behauptete er schließlich mit fester Stimme. »Klaro. Um andere Feinde abzuschrecken!«
Trix seufzte, zog Ians Jacke aus, hängte sie an einen Nagel neben der Tür und sagte: »Das ist doch dummes Zeug! Sauerampfer ist ein großer Magier, er wird einen Ausweg finden. Aber Ian … Damit hätte ich nicht gerechnet!«
»Womit?«, fragte Annette.
»Lässt sich für mich einkerkern!«, rief Trix. »Was für ein Edelmut bei einem Jüngling niederen Standes! Genauso verhält sich ein treuer Knappe! Wie … wie Kimian, der sich für Atreju ausgegeben hat!«
»Schöner Edelmut!«, höhnte Annette und leuchtete vor Entrüstung auf. »Der Junge träumt davon, ein echter CoHerzog zu werden. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Wenn auch im Gefängnis. Wenn auch nur, bevor ihm der Kopf abgehackt und er ins Öl geschmissen wird.«
»Was soll der Unsinn?«, fragte Trix verärgert. »Was redest du da – er will Co-Herzog sein?«
Hallenberry und Annette stimmten ein fröhliches Gelächter an.
»Klaro, glaubst du das auch?«, fragte Trix.
»Natürlich!«, antwortete der Junge. »Ian … ist so. Er liebt dich, klaro. Und er hat immer gesagt, dass er dir dankbar ist. Aber noch lieber würde er selbst ein Aristokrat sein. Und jetzt kann er gleich beides: seine Dankbarkeit zeigen und sich seinen Traum erfüllen!«
Trix legte sich aufs Bett (die Matratze war hart und schlecht gestopft, aber nach dem Gerüttel in der Kutsche störte ihn das nicht). »Soll das heißen«, murmelte er, »dass eine gute Tat nicht immer auf edle Motive zurückgehen muss? Sondern auch auf niedere …«
»Klaro«, sagte Hallenberry. »Also, ich habe mal gelogen, dass ich alle kandierten Früchte aufgefuttert habe, obwohl das meine Schwester gewesen war. Klaro, ich wurde ausgepeitscht! Aber dafür hat mir Tiana einen ganzen Monat lang Süßigkeiten gebracht … klaro … danach hat sie aber wieder damit aufgehört.«
»Wahrscheinlich geht auch eine schlechte Tat nicht immer auf niedere Gründe zurück, sondern manchmal auch auf edle«, dachte Trix weiter laut nach.
»Klaro«, sagte Hallenberry wieder. »Tiana liebt Süßigkeiten, trotzdem habe ich ihr alles weggegessen. Und warum? Nur weil sie sich beklagt hat, dass sie zu dick wird!«
»Wenn du dich so gut auskennst«, sagte Trix, »dann kannst du mir vielleicht sagen, warum Sauerampfer und Ian verhaftet wurden … ich meine, Sauerampfer und ich.«
Aber auf diese Frage wussten weder der für sein Alter so kluge Hallenberry noch die Fee Annette eine Antwort.

1. Kapitel